1969
1969 Zuckertütenfest - Schuleinführung
Zuckertütenfest
Das letzte Jahr im Kindergarten war geprägt von Bummi - und Freundschaftsliedern. Fähnchen mit der Friedenstaube. Versuche mit der Schere einen Kreis zu schneiden. Unfallfrei den Mittagsschlaf toilettenmässig zu überstehen. Sowie das „geordnete, gerade“ Laufen in grösseren Gruppen, ohne seinen Nebenmann gleich an das Händchen zu nehmen. In jener Zeit entwickelte sich auch in mir der unbändige Wunsch entweder Indianer bei den Dakotas oder zumindest Panzersoldat mit einem Schiessgewehr zu werden.
Den krönenden Abschluss jener vorparamilitärischen Kindergartenausbildung bildete das „Zuckertütenfest“.
An diesem letzten Tag in jener Tageseinrichtung, wurden alle Vorschulkinder der grossen Gruppe in einer Art Feier aus dem Kindergarten entlassen. An einem Bäumchen gleich neben unserem Spielplatz wurden kleine Zuckertüten für die „Abschlussabsolventen“ dieser elitären Kindertagesstätte aufgehängt. Nun durfte sich jeder von uns eine dieser bis zur Schleife mit Süssigkeiten gefüllten Pappkegeltüten unter den Nagel reissen. Unter neidischen Blicken der Mittel- und Kleinengruppe vollzogen wir jenen Akt der Naschereiernte mit Würde. Allerdings nur bis zu dem Augenblick, als jeder sein Behältnis im Arm hielt, der anwesende Fotograf sein Erinnerungsfoto schiessen konnte.
Nur ca. eine Woche später war es dann soweit. Der ersehnte Augenblick der.....
.....Schuleinführung
Ich denke mal, dass jener Tag fast jedem entsprechend in Erinnerung bleiben dürfte. Schliesslich war es der lang ersehnte Augenblick endlich eine eigene Schultasche auf dem Rücken geschnallt zu bekommen sowie mit Buntstiften im eigenem Schulbuch Strichmännchen zu malen. Vorher hatte meine Schwester immer etwas dagegen, wenn ich versuchte ihre „doofen“ und langweiligen Lernbücher mit meinen hauseigenen „Kreationen“ zu bereichern.
Endlich lernte ich auch den Rest meiner zukünftigen „Mitpauker“ kennen, durfte das erste Mal in „unserem“ Klassenzimmer mir einen Platz aussuchen. Damals konnte ich schon einen gewissen Hang zum „schönem“ Geschlecht nicht ganz leugnen. Jedenfalls eroberte ich mir, zumindest an diesem Tag, einen Platz neben einer der süssesten Erstklässlerinnen an unserer Dorfschule. Sie hiess Andrea, hatte wunderschöne gelockte blonde lange Haare, welche hinten mit einer überdemensionierten rosa Schleife zusammen gehalten wurden. Sie sah in ihrem „Strickkleidchen“ wie ein kleines Schaufensterpüppchen aus. Allerdings verhielt sie sich auch entsprechend, würdigte mich keinen Blickes. Dabei hatte sich meine Mutter extra für diesen besondern Tag, fast in den wirtschaftlichen Ruin gestürtzt. Und das nur, um aus mir ein „schmuckes“ Burschli zu machen. Es half nix. Ich hatte weder an diesem Tag noch später bei dieser Dame nur einen Hauch von Chance. Wie konnte ich auch damals nur erahnen, dass es gravierende Unterschiede in Herkunft und Status gab. Diesen Umstand sollte ich aber sehr schnell kennen lernen.
Jedenfalls wurden wir in einer feierlichen Zeremonie in der Schule aufgenommen, unserem zukünftigem Lehrpersonal vorgestellt. Das alles war aber am Ende nicht so interessant, wie die „Ausgabe“ der entsprechenden Zuckertüten. Der Unterschied jener „Container“ zu den Kindergartentüten, war nicht nur ihre imposante Grösse, sondern deren Inhalt. Jener Inhalt zog schon eine gewisse unsichtbare Grenze durch unser zukünftiges Klassengefüge. Alle, die es sich leisten konnten, bemühten ihre „parteilichen Beziehungen“ um von der Spitze des Kegels bis weit über dessen Rand die Tüte mit allen nur erdenklichen Naschereien zu befüllen. Oben drauf trohnte meistens noch ein Spielzeug in Form von Teddys oder Püppchen. Das alles wurde mit einem zusammengebundenen bunten netzartigen Gebilde in Form gehalten. Jene allerdings, die „nur Arbeiter“ waren, vielleicht noch nebenbei mit einer Zweitarbeitsstelle ihre Familie über Wasser halten mussten, füllten den Grund jener Objekte mit Äpfeln und anderen Füllmaterialien. Zu jener „priveligierten“ Arbeiterschicht gehörte meine Mutter. Aber als Kind sah man das natürlich nicht, bzw. anders. Der Neid war geboren, die „Schlagersüsstafeln“ ( typische Schokoladensorte der DDR ) schnell verkonsumiert. An das anschliessende „Familienfest“ kann ich mich nicht mehr erinnern. Zu sehr war ich mit meinen Malstiften und den zwei Schulbüchern beschäftigt.
Das Lernen in der Dorfgemeinschaft unter vertrauten Personen und Freunden fiel leicht, machte sogar manchmal Spass.
Nach den entsprechenden Unterrichtsstunden gingen die meisten von uns in den „Schulhort“. Dies war eine Einrichtung, die für die Kinder arbeitender Eltern gedacht war, welche nicht die Zeit aufbringen konnten nach Schulschluss sich um ihre Zöglinge zu sorgen. In diesem Schulhort ging das Lernen unter spielerischen Anleitungen von ein paar älteren Damen weiter. Es wurden Spiele, Wanderungen, Pionierferienlager während der Schulferien und Kindergeburtstage organisiert. Sie kümmerten sich um Hausaufgaben und die sonstigen Kleinigkeiten, welche Kinder im Alter von bis zu 9 Jahren so plagten. In dieser Zeit wurden wir „Neuen“ auf ganz feierliche Art und Weise in den Kreis der „Jungpioniere“ aufgenommen, bekamen unser blaues Halstuch umgebunden. Für die sonstige Ausrüstung, wie Pionierhemd, Hose, Käppi und die anderen Pioniergegenstände waren die Elternteile verantwortlich. Entsprechend der Stellung der Eltern in der sozialistischen Gesellschaft sowie ihrem beruflichen Einkommen fiel auch der Ausstattungszustand des jeweiligen Jungpioniers aus. Nur war es damals schon so, dass man als Elternteil es nicht zulassen konnte, sein Kind als einziges ohne das obligate weisse Pionierhemd und dem Käppi zu einer Pionierveranstaltung zu schicken. Ausserdem war da auch noch die Pionierleiterin, welche im schlimmsten Fall sich an den jeweiligen Betrieb mit einer Nachfrage über das Elternteil wenden konnte. Und so waren wir alle zumindest mit der Grundausstattung „All seid bereit....immer bereit.“
Sonntags war bei uns in der Regel Badetag. Das hiess eine Zinkwanne mit ca. 80 cm Durchmesser in der Küche und mindestens drei grossen Töpfen voller heissem Wasser auf dem Kohlenherd. Allerdings war das Badevergnügen begrenzt. Schliesslich wollten auch die restlichen Familienmitglieder sich in jenem antiken Teil der Wohnungseinrichtung baden. Und so durfte ich immer als erster gegen 18 Uhr mich in jenes „Gefäss“ schlängeln, damit ich ja auch pünktlich gegen 19 Uhr ins Bett konnte.
Mein zweitältester Bruder war beim Militär und beabsichtigte auch nicht wieder nach seiner Dienstzeit zurück zu kommen. Mein ältester Bruder hatte als einziger ein eigenes Zimmer für sich und seine ständig wechselnden Damenbesuche. Meine Schwester hingegen hatte hinter einem „Vorhang“ in einem Durchgangsbereich wenigstens so etwas wie ihr eigenes Reich. Also musste ich bis zu meinem 10. Geburtstag bei meiner Mutter im Elternzimmer nächtigen. Sobald einer das Haus verliess, rutschte der nächste automatisch nach. Wie sehnte ich mich danach, dass meine Geschwister endlich aus dem Haus verschwinden würden.
Das Verhältnis unter uns Geschwistern war den Umständen entsprechend. Meine Schwester war entweder bei mir ne doofe Kuh, oder ne blöde Ziege. Jedenfalls in dieser leicht verständlichen landwirtschaftlichen Ausdruckssprache. Hinzu kam, dass der Altersunterschied zwischen den anderen drei Geschwisterteilen und mir schon ziemlich gross war, ich immer als verzogenes „Muttersöhnchen“ verstanden wurde. Was ja auch bis zu einem gewissen Betrachtungsgrad aus ihrer Sicht stimmte. Ich sah es allerdings immer anders, forderte konsequent mein Recht. Es war auch oft ein Machtspielchen zwischen den älteren Geschwistern und mir. Vor allem mit meiner Schwester. Sie sahen mich als ungewollten Nachzügler, hinter vorgehaltener Hand als „Getränkeunfall“. Ich war nun mal da und fing langsam aber sicher an mich mit meinen „bescheidenen“ Mitteln zu wehren. Am Ende war es dann doch so, dass wir Geschwister zueinader hielten und uns jeder auf seine mögliche Art sogar „liebten“. Zumindest „gerne“ hatten. Schliesslich war der eine Bruder bei der Armee, womit ich in der Schule und bei den Pioniernachmittagen mächtig angeben konnte.
Montags durfte ich abends immer zu „Freunden“. Sie waren die einzigen in unserem Bekanntenkreis, welche schon einen Fernseher besassen. Und Montagabend wurde, was zwar offiziell verboten war, generell „Westfernsehn“ geschaut. Für uns Kinder gab es Zeichentrick. Fred Feuerstein war mein besonderer Favorit.
Und so genoss ich eine für damalige Verhältnisse ruhige und normale Kinderzeit, welche nur ab und an durch „kleine“ übliche Streiche und Dummheiten etwas Abwechslung in mein „Landleben“ brachten.
Drei Jahre besuchte ich jene Dorfschule, gewann viele Freunde, machte mich aber auch in mancher Beziehung nicht beliebt. Dennoch kann ich sagen, dass diese Zeit zu meinen schönsten und sorglosesten Erinnerungen der Kindheit gehört.